< Dämonen jagen durch den Wald von Bachl >
Spieler schlüpfen in Rollen/ Eine Art von Stehgreiftheater/ Das eigene selbst verlassen
MZ Samstag/ Sonntag 2./ 3.September 2001 von Frömberger
Keine
Angst vor bösen Dämonen: das Stehgreiftheater stammt aus dem Mittelalter.
Foto: Frömberger
BACHL (efr). Wenn ein unbekümmerter Spaziergänger am vergangenen Wochenende die ortschaft Bachl in Richtung Sallingberg verlassen hätte, dann hätte es sein können, dass er auf der Höhe der alten Düngemittelfabrik zeuge eines ungewöhnlichen Treibens geworden wäre. Und vielleicht ist er einem Burgräulein, einer Fee oder einem Ritter in voller Rüstung begegnet. Und wenn er die gestalten gar gefragt hätte, wo sie denn herkämen, würde er als Antwort erhalten haben: „Wir haben gerade einen Dämon gejagt!“
Spuckt`s gar in Bachl? Nein, kann man beruhigt antworten. Zwar gab es diese seltsam anmutenden gestalten nicht nur in der Einbildungskraft des Spaziergängers, doch sind sie ganz normale Menschen. Und zwar verspielte Menschen. Was sich auf der Höhe und im Innenhof der alten Düngemittelfabrik am Wochenende abgespielt hat, war nichts weiter als ein Spiel ein Rollenspiel.
Etwa 80 Teilnehmer aus ganz Deutschland haben sich am Wochenende in Bachl eingefunden, um eine alte Tradition zu pflegen, Die MZ durfte dabei sein, wo der „normale“ Mensch des 21. Jahrhunderts das Ambiente der Spielteilnehmer stören würde. „Wenn jemand das unbedingt sehen möchte, dann lassen wir ihn natürlich herein“, sagt die Spielleiterin des LARP-Treffens.
Da köchelt das Wasser - Foto: Frömberger
Die Abkürzung LARP steht für die englische Bezeichnung „Live Act Rolle Playing“. Das bedeutet, dass die Spielteilnehmen feste oder auch „offene“ Rollen bekommen, die sie für die Dauer des Spieles, meistens ein Wochenende lang, einnehmen. „Dieses Spiel ist eine Weiterentwicklung des Stehgreiftheaters des 14. Jahrhunderts“, erklärt die Spielleiterin. „Die Personen bekommen entweder einen festen Charakter, der von der Spielleitung vorgegeben ist und den sie dann für die Spieldauer einnehmen. Die Spielleitung teilt aber auch offene Charaktere aus. Das bedeutet, dass die Personen in ihrer Handlungsfreiheit nicht eingeschränkt sind,“ erklärt sie.
Für die Dauer der Veranstaltung werden dann Geschichten nachgespielt. „Die Teilnehmer müssen Aufgaben lösen, deren Ausgang offen ist.“ Eine Aufgabe ist zum Beispiel eine Szene in einer Taverne nachzuspielen. Burgfräuleins mit schönen Gewändern schenken Honigwein in mittelalterliche Becher aus, Ritter und knappen spielen Karten und stärken sich mit Speisen. Auch kämpfe werden ausgetragen. Mit gefährlich echt aussehenden Beilen, Äxten und Schwertern, die aus mit Latex überzogenem Schaumstoff gefertigt sind, werden Schaukämpfe ausgetragen. Beim Lagerleben sind Händler mit ihren Waren zu beobachten, Frauen waschen Gemüse und ein Kräutersammler liefert seine Funde bei der Spielleitung ab.
Jetzt wird auch verständlich warum der Mitarbeiter der MZ, als er das lagerleben betrat, mit zweifelnden Blicken bedacht wurde. „Welch`seltsames Geschöpf!“ bestaunt man den Menschen aus dem 21. Jahrhundert. Alle Spielteilnehmer sind in Kostüme des Mittelalters gekleidet, alle Anwesenden beschäftigen sich mit authentischen Tätigkeiten der Minnesängerzeit. Alle Teilnehmer sind mit einer so ernsthaften Hingabe in die Rolle eines Menschen aus dem Mittelalter vertieft, dass ein Mann mit einer jeans und einem Poloshirt einfach störend wirken muß.
Aber wie gesagt, ob jemand nun einen Krieger mit einem Beil, oder ob er einen mit vier Hörnern besetzten und rot geschminkten Dämon darstellt – was er spiet, ist nichts als eine Rolle. Aber genau hier liegt für Hans Rückerl, sektenbeauftragter bei der Diözese Regensburg die Crux. „Dieses Spiel könnte für labile Charaktere zum Problem werden“, formuliert Rückerl seine Meinung zu dieser Art von „Spiel“. „Für die Teilnehmer besteht die Möglichkeit, einmal die Alltagssituation für die Dauer von drei tagen zu verlassen. Es könnte jedoch sein, dass für manche Personen die Grenze zwischen Fiktion und Realität verschwimmt.“
Trotz der bedenken sieht Rückerl die Veranstaltung als „ganz normale Freizeitbeschäftigung“ an. Die Weiterentwicklung des Stehgreiftheaters bietet für die hart arbeitenden Menschen unserer zeit etwas besonderes: die Möglichkeit, einmal für ein paar tage sein eigenes Selbst zu verlassen und in eine völlig andere Rolle zu schlüpfen.“ Und das taten die Teilnehmer mit größtem Engagement und sichtlicher Ernsthaftigkeit.
Nur
ein Spiel: Jeder Schauspieler schlüpft in eine andere Rolle - Foto:
Frömberger